Vorsteuerabzug: Anforderungen an die Anschrift des leistenden Unternehmers

Vorsteuerabzug: Anforderungen an die Anschrift des leistenden Unternehmers

Nach Auffassung der Finanzverwaltung und des Bundesfinanzhofs berechtigt nur eine Rechnung zum Vorsteuerabzug, die eine vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers enthält. Unter dieser Anschrift müsse der Unternehmer wirtschaftliche Aktivitäten entfalten, eine Briefkastenanschrift reiche nicht. Diese Auffassung war allerdings umstritten und wurde nun vom Europäischen Gerichtshof dahingehend entschieden, dass es nicht erforderlich ist, dass unter der in der Rechnung angegebenen Anschrift wirtschaftliche Aktivitäten ausgeübt werden.

Insoweit lagen dem Europäischen Gerichtshof zwei Verfahren vor:

  • In der Rechtssache Geissel erwarb eine GmbH von einer anderen GmbH Kraftfahrzeuge. Das Finanzamt versagte den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen, weil es sich bei der leistenden GmbH um eine „Scheinfirma“ handele, die unter ihrer Rechnungsanschrift keinen Sitz gehabt habe. Das Finanzgericht Düsseldorf bestätigte die Auffassung des Finanzamts. Zwar habe sich der statuarische Sitz unter der in den Rechnungen angegebenen Adresse befunden, dies sei aber ein Briefkastensitz gewesen. Der leistende Unternehmer sei dort nur postalisch erreichbar gewesen, habe unter dieser Anschrift jedoch keine geschäftliche Tätigkeit ausgeübt. Im Revisionsverfahren hat der Bundesfinanzhof dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, welche Anforderungen an die Anschrift zu stellen sind, damit eine Rechnung zum Vorsteuerabzug berechtigt.
  • In der Rechtssache Butin versagte das Finanz­amt ebenfalls den Vorsteuerabzug mit der Begründung, dass die in den Rechnungen ausgewiesene Anschrift unrichtig sei, da sie nur als „Briefkastenadresse“ diene. Das Finanzgericht Köln gab der Klage unter Ablehnung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs statt. Seiner Auffassung nach reiche eine Anschrift aus, unter der der leistende Unternehmer postalisch erreichbar ist. Auf die Revision des Finanzamts hin legte der Bundesfinanzhof diese Rechtsfrage ebenfalls dem Europäischen Gerichtshof vor.

Der Europäische Gerichtshof bestätigt nun mit Urteil vom 15.11.2017 (Rechtssache C-374/16, Geissel und C-375/16, Butin) ausdrücklich die Auffassung des Finanzgerichts Köln. Der Begriff „Anschrift“ werde allgemein weit verstanden. Er umfasse jede Art von Anschrift, einschließlich einer Briefkastenanschrift, sofern die Person unter dieser Anschrift erreichbar ist. Die Mitgliedstaaten dürfen an die Ordnungsmäßigkeit einer Rechnung keine strengeren Anforderungen stellen als diejenigen, die sich aus dem Unionsrecht ergeben. Die Angaben, die eine Rechnung enthalten muss, sollen es den Steuerverwaltungen ermöglichen, die Entrichtung der geschuldeten Steuer und ggf. das Bestehen des Vorsteuerabzugsrechts zu kontrollieren. Daneben dient die Angabe der Anschrift des Rechnungsausstellers in Verbindung mit seinem Namen und der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer dazu, eine Verbindung zwischen einer bestimmten wirtschaftlichen Transaktion und einem konkreten Wirtschaftsteilnehmer, dem Rechnungsaussteller, herzustellen. Die Identifizierung des Rechnungsausstellers ermöglicht eine Prüfung, ob der für einen Vorsteuerabzug in Betracht kommende Betrag auf Seiten des leistenden Unternehmers steuerlich erfasst und entrichtet wurde. Hierfür ist nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs eine Anschrift, unter der wirtschaftliche Aktivitäten ausgeübt werden, nicht erforderlich. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Tätigkeiten auf entmaterialisierte Weise unter Verwendung neuer Informationstechnologien ausgeübt werden.

 Hinweis:

Damit wird die bisherige Rechtsprechung bestätigt, wonach an die formalen Voraussetzungen einer umsatzsteuerlichen Rechnung keine überspannten Anforderungen zu stellen sind. Entscheidend ist, dass aus den Rechnungsangaben der leistende Unternehmer identifiziert und ein Bezug zu einem konkreten Leistungsaustausch hergestellt werden kann und der Unternehmer unter der Anschrift postalisch erreichbar ist. Dennoch sollten gerade bei neu aufgenommenen Geschäftsbeziehungen die Angaben in Eingangsrechnungen sehr sorgfältig geprüft werden.